
Auf in ein neues Betonzeitalter!
Mit KIBECO hat die Kibag eine Marke für nachhaltige Baustoffe und Dienstleistungen geschaffen. Philippe Peter, Leiter KIBECO, erklärt im Interview die jüngste Produktentwicklung und schildert, wo die Herausforderungen bei neuen Betonprodukten liegen.
Mitte August wurde eine Partnerschaft zwischen Kibag, Holcim und dem ETH Start-up Oxara kommuniziert. Gemeinsam will man die Baustoffinnovation «Oxacrete Oulesse» etablieren, ein zementfreies Bindemittel. Wie ist es zu dieser Partnerschaft gekommen?
Philippe Peter: In der Partnerschaft teilen wir die Vision und verfolgen das gemeinsame Ziel: die Kreislaufwirtschaft und die Dekarbonisierung des Bauens voranzutreiben. Die beiden Stossrichtungen unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung. Um sie praxisgerecht anzugehen, steht mit dem zementfreien Bindemittel Oxacrete Oulesse, das wir mit Oxara zur Marktreife entwickelt haben, ein weiteres potenzialreiches Produkt zur Verfügung. Um die Entwicklung auf die nächste Stufe zu skalieren, suchten wir den geeigneten Vertriebspartner – und fanden ihn mit Holcim als weltweit etablierten und auch in den Schweizer Regionen stark präsenten Zementproduzenten.
Mit dem Bindemittel wird eine Betonalternative hergestellt, welche die Kibag unter dem Namen KIBECO cleancrete Oulesse anbietet. Was kann der Baustoff?
KIBECO cleancrete Oulesse ist ein leistungsfähiger zementfreier Betonersatz. Er erreicht Festigkeiten bis zu 25 Mpa und weist eine hohe Wasserbeständigkeit auf. Entsprechend kann er für eine Vielzahl von Anwendungen als direkter Ersatz für konventionellen Konstruktionsbeton bis C20/25 verwendet werden, so beispiels-weise für tragende Wände, Böden sowie gegossene Elemente. Die detaillierten normativen Grundlagen werden aktuell ausgearbeitet und standardisiert. KIBECO cleancrete Oulesse ist zirkulär und bis zu 80 Prozent CO2-reduziert, der damit her-gestellte Baustoff weist einen markant kleineren Fussabdruck auf als so genannt «grüne» Betonsorten mit reduziertem Zementgehalt.
Erfordert der Baustoff eine neue Verarbeitungsweise?
Eben nicht! Mit Oxacrete Oulesse kann der Baustoff überall hergestellt werden, wo RC-Beton produziert wird. Damit ist die Betonalternative ebenso regional verfügbar wie Beton selbst. Und auch im Transport auf die Baustelle, beim Einbringen per Kran oder Pumpe sowie in der Verarbeitung gibt es praktisch keine Unterschiede. Im heut/igen Entwicklungsstadium weist unser KIBECO-cleancrete-Oulesse-Beton noch eine leicht langsamere Festigkeitsentwicklung auf als konventioneller Konstruktionsbeton. Wir gehen aber davon aus, dass wir sie mit geeigneten Zusatzmitteln noch beschleunigen können. Die Endfestigkeit ist dann ähnlich wie bei herkömmlichem Beton. Wir sprechen von einer emissionsarmen Betonalternative, die sich weitgehend so handhaben lässt wie Beton.
Die Oulesse-Partner schreiben, dass sie «mit diesem neuartigen Ansatz (…) bis zu zehn Prozent des Schweizer Betonmarktes bedienen» können. Ist das zurückhaltend oder mutig?
Es ist ambitioniert. Aber es darf und kann aber auch mehr sein. Denn neben den vielfältigen Einsatzbereichen im Hochbau kann KIBECO cleancrete Oulesse auch im Tiefbau überzeugen, dort als Ersatz beispielsweise für Magerbeton, der für Fundations- und Sauberkeitsschichten verwendet wird. In diesen Bereichen könnte Oulesse-Beton den konventionellen Beton sogar restlos ersetzen.
Was gab ursprünglich den Anstoss für die Nachhaltigkeitsplattform KIBECO?
Den Stein ins Rollen brachten die Anfragen der ETH-Start-ups Neustark und Oxara, die wir 2019 erhielten. Die Teams stellten uns ihre Entwicklungsideen vor und wir stellten rasch fest, dass es sich um potenzialreiche Innovationsansätze handelt, mit denen wir einen echten Beitrag zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft sowie zur Dekarbonisierung der Branche leisten können. Mit der Marke und der Plattform KIBECO schafften wir innerhalb des Kibag-Universums schliesslich den geeigneten Rahmen, um solche aussichtsreichen Zusammenarbeiten voranzutreiben.
Wie muss man sich den Weg beispielsweise der Oulesse-Entwicklung vorstellen, bis aus der Idee ein marktfähiges und skalierbares Produkt wird?
Die Wege von den frühen Laborbestätigungen bis zur praxisfähigen Baustofflösung sind lange und phasenweise durchaus nervaufreibend.
Warum?
Als Baustoffproduzent ist unser Korsett eng geschnürt. Die geltenden und etablierten Normen machen strikte Qualitätsvorgaben. Das muss so sein, denn letztlich will niemand ein Bauwerk einstürzen sehen, weil in der Baustoffproduktion Fehler gemacht wurden. Aber: Die Baustoffe, die wir mit Oxara entwickeln, werden von den bestehenden Normen nicht gestützt. Wir orientieren uns im Entwicklungsprozess dennoch daran und nutzen die Vorgaben als Benchmark. Die entsprechenden Erstprüfungen setzten viele Vorversuche voraus, die allesamt erfüllt werden mussten und die wir in unseren eigenen Labors durchführten. Wir sprechen von Tests, deren Resultate teils bis zu 90 Tage auf sich warten lassen. Erfüllen die langersehnten Resultate dann die Anforderungen nicht, kann das im schlimmsten Fall heissen: Zurück auf Feld eins. Das ist bei der Entwicklung von KIBECO cleancrete Nossim sowie KIBECO cleancrete Oulesse glücklicherweise nicht eingetreten.
Wie lange dauert ein solcher Entwicklungsprozess?
Erfahrungsgemäss sprechen wir von einem Innovationszyklus von drei bis fünf Jahren. Dies vom Zeitpunkt der ersten Vorversuche bis zum marktfähigen Produkt. Das ist die Erfahrung, die wir mit den zementfreien Alternativbaustoffen machen, bei deren Entwicklung wir uns zwar am geltenden Normenwerk orientieren, uns aber nicht darauf abstützen können. Demgegenüber lief der Entwicklungsprozess des KIBECO-Betons deutlich schneller ab, den wir mit der Neustark AG vorantrieben. Dies, weil der Karbonatisierungsprozess die Eigenschaften des RC-Betons nicht im Grundsatz verändert, sondern sogar verbessert. Das Normenwerk blieb in jener Entwicklung voll anwendbar.
Wo steht die Firma Neustark?
Wir arbeiten mit Neustark intensiv an der Speichertechnologie. Gegenwärtig können damit im Branchenschnitt zwischen 10 und 12 kg CO2 pro Kubikmeter RC-Betongranulat gespeichert werden. Wir verfolgen das Ziel, mit rund 20 kg CO2 pro Kubikmeter Beton eine Verdoppelung der Speicherkapazität zu erreichen. Zudem evaluieren wir die Möglichkeit, auch CO2 in die Betonalternativen zu speichern, die wir mit Oxara entwickeln. Da tun sich spannende Synergien auf.
Was treibt dich persönlich an?
Der Beton selbst! Es ist doch schlicht verblüffend, welche vielfältigen technischen und ästhetischen Möglichkeiten dieser regional produzierbare Baustoff bietet! Meine berufliche Herausforderung als Leiter bei KIBECO ist es nun, diesen faszinieren-den Baustoff in ein neues Zeitalter zu führen. Dies, indem wir vorhandene Produkte innovativ modifizieren. Und indem wir Betonalternativen für Bausituationen entwickeln, in denen nicht die vollen Betonfestigkeiten gefragt sind. Beton wird seit Jahr-tausenden verbaut. Ich arbeite mit, dass er weiterhin mit Überzeugung verbaut werden kann – wo es ihn braucht.
Interview und Fotos: Beat Matter
Aktuelle Projekte und Partnerschaften von KIBECO
Neustark hat eine bahnbrechende Technologie entwickelt, die es ermöglicht, CO₂ direkt im Betongranulat einzulagern und es in eine CO₂-Senke zu verwandeln. Diese Technik wurde bereits in diversen Bauprojekten erfolgreich eingesetzt. So setzten die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) von Anfang an auf KIBECO und bei jedem Gleisbau werden die neuen Schienen in unseren CO₂-armen Beton eingebettet. Auch private Bauherren wie die SENN Development AG bei ihrem Neubauprojekt MACH im Kochareal in Zürich vertrauen auf KIBECO-Beton. In diesem Jahr konnten wir rund 30000 m³ CO₂-speichernden Beton über alle Regionen hinweg produzieren – das entspricht der dauerhaften Speicherung von etwa 300 Tonnen CO₂, vergleichbar mit der Menge, die jährlich von 24000 Bäumen absorbiert wird.
Im Zuge der Harmonisierung der Betonnormen und des Wegfalls des Mindestzementgehalts haben wir innovative Betonsorten entwickelt, die den Anforderungen des Anhangs ND gerecht werden. Diese zukunftsweisenden Betone kombinieren modernste Startup-Technologien mit unserem fundierten Know-how. Ein herausragendes Beispiel ist der Beton für den Ersatzneubau Hegibachplatz, den wir gemeinsam mit dem Planungsbüro WaltGalmarini entwickelt haben. Der Zementgehalt wurde dabei auf ein Minimum reduziert (210 kg statt der üblichen 300 kg), rund 80 kg Flugasche als Füllstoff verwendet und das Betongranulat mit CO₂ behandelt. Das Resultat: ein Beton mit 30 Prozent geringerem CO₂-Fussabdruck – und das bei gleichbleibender Leistungsfähigkeit. Die Anpassung der Norm wird im neuen Jahr in Kraft treten und wir sind zuversichtlich, dass wir dann noch weitere solch zukunftsweisende Projekte umsetzen dürfen.
Oxara beschreitet einen völlig neuen Weg, indem die junge Firma aus Aushubmaterialien und Bauabfällen nachhaltige Bindemittel zur Herstellung von Baustoffen entwickelt. Die zementfreien Produkte sparen nicht nur Ressourcen, sondern reduzieren die CO₂-Emissionen drastisch. Ein Beispiel sind die erdbasierten Produkte, die auf Lehm basieren, welcher aus den Filterkuchen der Kies- und Aushubwaschung stammt. Der Filterkuchen wird durch ein spezielles Bindemittel verflüssigt, mit Gesteinskörnung und Wasser vermischt und als Baustoff auf die Baustelle geliefert. Besonders geeignet ist dieser Baustoff für Hybridbauten, sei es als Unterlagsbeton oder geschliffener Terrazzo-Boden. Erste Projekte mit KIBECO Nossim wurden bereits in Basel, Zürich und Zug realisiert. Ein weiteres innovatives Bindemittel besteht aus Mischabbruch, der fein aufgemahlen und durch einen Aktivator reaktiviert wird. Diese Technologie erreicht Festigkeiten von bis zu 25 N/mm² – ganz ohne Zement. In Horw bei Luzern wurde mit dem Pavilion Manal dieses Jahr das erste Leuchtturmprojekt erfolgreich umgesetzt, und weitere Projekte sind bereits geplant. Zudem ist der Baustoff als Magerbeton unter der Bezeichnung MIGROX bereits erhältlich und eignet sich für Baugrubensohlen, Sauberkeitsschichten und Kanalisationen.